Buch
Vorwort
Seit vielen Jahren beschäftigen mich
bestimmte Themen in Adlers Schriften,
die ich wie ungehobene Schätze seiner
Theorie empfand. Zum Beispiel, wie
sehr unbewusste Phantasien oder
Fiktionen das menschliche Fühlen und
Handeln prägen; wie schon in frühester
Kindheit ein unbewusster
Lebensentwurf gestaltet wird und fortan
das Leben bestimmt. Auch faszinierte
mich in Adlers Hauptwerk von 1912
seine Betonung der Eigenaktivität des
Kleinkindes aufgrund seiner
schöpferischen Kraft. Mit seinem
Konzept des Gemeinschaftsgefühls
konnte ich mich lange Zeit nicht
anfreunden, bis ich dann Adlers
Schriften gründlicher studierte. Das
Gemeinschaftsgefühl steht im Zentrum
der Individualpsychologie ebenso wie
der Mensch, wie er leibt und lebt, strebt
und scheitert.
Wesentlich ist, dass es Adler immer um das Individuelle geht. Man muss die Einzigartigkeit des Selbst oder das Wesen
der Person intuitiv erahnen. Wenn man nur die Bedeutung eines Symptoms überlegt, sagt Adler: "Reißt man ein
einzelnes Phänomen aus diesem Zusammenhang, so wird man es immer missverstehen. Die einzelnen Töne sagen
uns nichts, wenn wir die Melodie nicht kennen. Wer aber die Bewegungslinie eines Menschen kennt, für den beginnen
die einzelnen Erscheinungen zu sprechen" (Adler, 1923c/2010, S. 207).